Die Expedition

DIE TERRA NOVA EXPEDITION

Am 1. Juni 1910 trat Scott noch einmal den beschwerlichen und gefährlichen Weg in die Antarktis an, nachdem er bereits von 1901 - 1904 die erste britische Expedition in die Antarktis geleitet und dabei zusammen mit Ernest Shackleton einen Südrekord aufgestellt hatte. Offizielles Ziel der Expedition war die Entdeckung des magnetischen Nordpols, aber jeder seiner Männer wusste, es ging zum Südpol. Die Engländer erreichten am 4. Januar 1911 mit der "Terra Nova" die Ross-Inseln. Von dort aus wollten sie – dieses Mal mit Ponys statt der Schlittenhunde – Richtung Pol vordringen. Außerdem setzte Scott beim Transport der Ausrüstung auf Motorfahrzeuge. Er stand unter gewaltigem Zeitdruck, denn Roald Amundsen hatte ihm in einem Telegramm lakonisch mitgeteilt: "Fahre nach Süden, Amundsen." Am 3. Februar 1911 trafen sich die beiden Konkurrenten in der Walfischbucht und tauschten Höflichkeiten aus.
Danach ging jeder seinen eigenen Weg. Scott drang bis zum November soweit südwärts vor, dass er endlich mit vier ausgesuchten Männern das letzte Teilstück zum Pol in Angriff nehmen konnte. Aber die Engländer hatten auf die Norweger bereits einen ganzen Monat an Zeit verloren. Ihr Marsch stand von Anfang an unter einem Unglücksstern: die Motorschlitten streikten, die Ponys waren ein Fehlgriff und wurden erschossen. Fortan mussten die Männer die schweren Schlitten auf einer Route, die weitaus schwieriger war als die der Norweger, selber ziehen. Die Strapazen forderten ihren Tribut: die Männer litten an Skorbut. Als Amundsen am 4. Januar 1912 das norwegische Banner auf dem 90. Breitengrad aufpflanzte, war Scotts Expedition noch immer 200 Meilen vom Pol entfernt.

Die Engländer wussten nichts von ihrer schon besiegelten Niederlage. Die "Magie Südpol" trieb sie weiter vorwärts und hielt sie am Leben. Als sie endlich – am 17. Januar 1912 – den magischen Punkt erreichten, war der Anblick der von Amundsen aufgepflanzten norwegischen Fahne und der für sie zurückgelassenen Ausrüstungsgegenstände wie ein Todesstoß. Sie standen vor den untrüglichen Beweisen ihrer Niederlage im Kampf um den Südpol.

Scott und seine Männer hissten den Union Jack und verbrachten eine Nacht am Pol, ohne ein Wort untereinander zu wechseln. Welche Qualen die Engländer durchlitten, notierte Scott mit zittriger Hand in sein Tagebuch: "Großer Gott! Dies ist ein fürchterlicher Platz. Der Gedanke Erster zu sein trieb uns an, weckte unsere letzten Lebensgeister, brachte uns Hoffnung. Nun geht es heim und zu einem verzweifelten Kampf. Ich zweifle, ob wir es schaffen können."

Scotts schlimmste Befürchtungen sollten sich bewahrheiten. Der Rückweg artete in eine Folter aus: der Skorbut verschlimmerte sich, schwere Erfrierungen und Schneeblindheit kündigten sich an. Mitte Februar starb der erste seiner vier Männer – Evans. Im März folgt Oates, der seine Kräfte schwinden fühlte und das Zelt verließ. Er blieb für immer verschollen.

Scott, Wilson und Bauers lebten noch. Die Männer stemmten sich mit letzter Kraft gegen den Tod, der unaufhaltsam aus der Eiswüste heran kroch. Am 21. März ging der lebenswichtige Brennspiritus zur Neige. Zudem hielt ein Schneesturm die Männer in den Zelten fest. In seinem letzten Tagebucheintrag ohne Datum schrieb Scott: "Jeden Tag waren wir bereit, nach unserem elf Meilen (18 km) entfernten Depot aufzubrechen, aber da draußen vor unserem Zelt ist die Landschaft ein einziges wirbelndes Schneegestöber. Wir haben die Hoffnung auf Besserung aufgegeben. Wir werden es bis zum Ende ertragen, aber natürlich werden wir jeden Tag schwächer, und unser Tod kann nicht mehr sehr weit sein. Es ist ein Jammer, aber ich glaube kaum, dass ich weiter schreiben kann. Um Gottes Willen, sorgt für unsere Hinterbliebenen!" Nur 18 Kilometer vom rettenden Vorratsdepot entfernt, kam für Scott und seine Männer das unwiderrufliche Ende.

Acht Monate später fand eine Rettungsmannschaft die Toten erfroren in ihren Schlafsäcken: Wilson und Bauers lagen nebeneinander, Scott hatte den Arm um seinen besten Freund Wilson gelegt. Trotz ihrer absoluten Erschöpfung hatten die Männer 18 kg Gestein, das für geologische Untersuchungen in England gedacht war, bis zur letzten Station ihrer Schicksalsreise mitgeschleppt. Aus Ehrerbietung vor den Toten wurden auf ihre Gräber in England einige der Steine als Beweis für den eisernen Willen dieser Männer gelegt.

Die Gründe, warum Scott scheiterte, werden bis heute diskutiert. Seine Expedition schien perfekt vorbereitet und hatte sogar ein komplettes Labor dabei. Scotts größter Fehler, aus heutiger Sicht, war der Verzicht auf die bewährten Schlittenhunde. Eine Rolle spielte auch, dass die Engländer nicht genügend Erfahrungen mit Skiern hatten.

Dass Robert Scott nicht der perfekte Held war, zu dem er posthum gemacht wurde, steht wohl außer Frage, und es fällt leicht, mit dem Wissen der heutigen Zeit seine Fehlentscheidungen zu kritisieren. Trotzdem verdient sein Mut, an einen der klimatisch extremsten Orte der Welt zu gehen, den noch nie ein Mensch zuvor betreten hatte, allerhöchste Anerkennung.

„Streben, suchen, finden und nicht aufgeben.“ - so steht es auf einem Holzkreuz, das Mitglieder der Expedition zum Gedenken in der Antarktis aufgestellt haben.